Was hatten sich alle auf die Debatte zwischen Sarah und Joe gefreut - da sollten so richtig die Fetzen fliegen, das Rennen mal wieder auf den Kopf gestellt werden, Biden sollten unsägliche Schnitzer unterlaufen und Palin dümmer aussehen als Dan Quayle. Ist alles nicht passiert - auch dank einer recht passiven Moderatorin konnten beide weitgehend ungestört ihre Antworten auf wenig überraschende Fragen runterbeten.
Konsens in den Medien: Biden wirkte sattelfester, Palin charmant und volkstümlich. Aber auch Biden zeigte Emotionen - an einem Punkt schien er mit den Tränen zu kämpfen, als die Rede auf den Unfalltod seiner Frau kam.
Wie auch immer: Die ersten Polls zur Rede sind wie schon vor einer Woche recht eindeutig. Wer hat die Debatte gewonnen?
Die Zahlen ähneln auffällig denen von vor einer Woche - vielleicht ist es einfach so, dass die Mehrheit der Wähler nicht die sehr unterschiedlichen Diskussionsstile der vier Kandidaten bewertet, sondern den Positionen der Demokraten zustimmt, egal, von wem sie geäußert werden.
Bei dem Vizekandidaten-Duell erinnerte mich Frau Palin ein wenig an meine Studentenzeit. Der Trick bei mündlichen Prüfungen bestand darin, bei Fragen, bei denen man nicht ganz so sattelfest war, schnell auf ein Thema umzulenken, nach dem zwar nicht gefragt worden war, worin man aber im Vorfeld weniger „Mut zur Lücke“ bewiesen hatte und insofern auch mehr sagen konnte. Wenn man es geschickt machte, kam man damit manchmal auch ganz gut durch. Allerdings reichte nach meiner Erinnerung eine reine Aneinanderreihung von kaum in einem Sinnzusammenhang stehender Worthülsen dann in der Regel doch nicht aus. Aber möglicherweise sind ja die Anforderungen, die ein US-Vizepräsidentschaftsamt stellt, auch nicht ganz so hoch …
Das Thema Palin können wir jedenfalls zu den Akten legen. Jetzt geht es wieder um die harten Themen - für John McCain, wie Spiegel-Online treffend resümiert, eine schlechte Nachricht!
Vielleicht ist die Rezeption der Debatte als Sieg des Demokraten nicht mal Palins Schuld. Vielleicht haben mittlerweile die Wähler einfach die Schnauze voll von republikanischer Ideologie; dazu kommt noch die Wirtschaftskrise, die wohl auch eher der GOP angelastet wird:
The conclusion of Thursday's debate failed to alter a trajectory that has favored the Democratic ticket. The [Republican] campaign is still handcuffed to the nation's financial crisis, with voters willing to take a risk on
change and reminded of what they don't like about Republicans and the Bush administration.
[...]
The economic woes and reemergence of Bush have combined to remind voters exactly why it is they are in such a sour mood, Republicans believe.
Recalling internal polling data from this week, one top GOP official shared, with a dose of incredulity, the "right track" figure.
"Ten!" exclaimed this official about the percent of Americans who believe the country is heading in the right direction, "Ten!"
www.politico.com/news/stories/1008/14236.html
Wichtiger als die Debatte finde ich die Ankündigung des McCain-Teams, den Wahlkampf in Michigan einstellen zu wollen. Michigan war ein Symbol für die Reagan Democrats - weiße Arbeiter mit konservativen Werten. Die wollte man Obama abjagen. Die jüngste Kursänderung ist das Eingeständnis, dass man damit keinen Erfolg gehabt hat. Stattdessen sprechen die Republikaner jetzt über die realistische Aussicht, Obama im Staat Maine eine Wahlmännerstimme abjagen zu können - ein Armutszeugnis:
www.politico.com/news/stories/1008/14226.html
Obamas Leute dagegen sprechen über die realistische Aussicht, ein halbes Dutzend roter Staaten umzudrehen - wenn sie einen oder zwei dieser Staaten gewinnen, dürfte das schon den Sieg bedeuten. Schaut Euch einfach mal die neuesten Umfragen an - der Artikel titelt nicht umsonst "Boom goes the Dynamite":
Edit: Kurze Zusammenfassung des letzten Artikels. Laut diesen Polls führt Obama mittlerweile in Florida, Iowa, Missouri, North Carolina, New Mexico, Nevada, Ohio und Virginia. Alles Staaten, die Bush von vier Jahren gewonnen hatte. Dazu kommt noch Colorado, wo es für die Demokraten ebenfalls gut aussieht. Keiner der Kerry-Staaten scheint gefährdet. Verdammt düstere Aussichten für den Mac...
Sollte McCain gewählt werden, besteht eine 1 in 4 Chance, dass er das Ende seiner zweiten Amtszeit nicht erleben würde.
Bei dieser Berechnung der Versicherungsmathematiker wurde im Unterschied zu den vor einigen Wochen veröffentlichten Zahlen die Krankengeschichte McCains berücksichtigt.(schwarzer Hautkrebs)
Für Obama : 5,68 Prozent
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,581693,00.html
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Zwischen 1993 und 2002 wurde McCain viermal wegen Hautkrebs behandelt, im Jahr 2000 musste deswegen eine größere Menge Haut unterhalb seiner linken Schläfe entfernt werden.
Außerdem gingen weitere Gesundheitsrisiken McCains in die Berechnung ein:
* eine degenerative Arthritis, die von Verletzungen aus dem Vietnamkrieg herrührt,
* mittelhohe Cholesterinwerte,
* schwach ausgeprägte Schwindelanfälle,
* regelmäßiges Rauchen bis 1980.
Palin sei "ein großes, großes Risiko, falls John McCain gewählt wird und ihm etwas zustößt", schrieb etwa die "Washington Post". "Und das ist nicht nur das Risiko McCains oder das der Republikanischen Partei. Jetzt ist es unser aller Risiko."
Na ja, in diese 25% solltest Du noch reinrechnen, wie hoch überhaupt die Chance ihres Chefs ist, den Top Job vor seinem eventuellen Ableben zu ergattern. Schaut mir momentan nicht allzu günstig aus. Die Michigan-Entscheidung verstehe ich übrigens auch reinpsychologisch nicht: Nicht gerade motivierend für die eigenen Bodentruppen, derart demonstriert zu bekommen, wie dominant Obama mittlerweile ist.
Bin mal gespannt, wann Wright und Ayers als letztes Aufgebot der GOP in die Schlacht geschickt werden - und wie weit damit die Zahlen noch mal in Richtung der Republikaner bewegt werden können.
EDIT: Leiste hiermit Abbitte (siehe nächster Post). Diese unscheinbaren Modalverben, die Mauerblümchen in der von Konjunktionen gebeugten Wörterschar - man übersieht sie einfach so leicht...