Zukunft der Kernkraft?

posts 1 - 10 by 355
  • Zukunft der Kernkraft?

    Wanli, 19.03.2011 11:54
    #1

    Vielleicht nicht ganz blöd, dieses Thema aus dem Thread zur Katastrophe in Japan selbst rauszunehmen. Wie sieht die Zukunft der Energieversorgung aus - nicht nur in Deutschland, sondern auch im übrigen Europa und in den Schwellenländern mit ihrem enormen Wirtschaftswachstum?

    Als Stein des Anstoßes ein Kommentar im Economist:

    For the best nuclear safety you need not just good planning and good engineering. You need the sort of society that can produce accountability and transparency, one that can build institutions that receive and deserve trust. No nuclear nation has done this as well as one might wish, and Japan’s failings may well become more evident. But democracies are better at building such institutions. At the same time, however, democracy makes it much easier for a substantial and implacable minority to make sure things don’t happen, and that seems likely to be the case with plans for more nuclear power. Thus nuclear power looks much more likely to spread in societies that are unlikely to ground it in the enduring culture of safety that it needs. China’s nearest competitor in the new-build stakes is Russia.

    Yet democracies would be wrong to turn their back on nuclear power. It still has the advantages of offering reliable power, a degree of energy security, and no carbon dioxide emissions beyond those incurred in building and supplying the plants. In terms of lives lost it has also boasted, to date, a reasonably good record. Chernobyl’s death toll is highly uncertain, but may have reached a few thousand people. China’s coal mines certainly kill 2,000-3,000 workers a year, and coal-smogged air there and elsewhere kills many more. It remains a reasonable idea for most rich countries to keep some nuclear power in their portfolio, not least because by maintaining economic and technological stakes in nuclear they will have more standing to insist on high standards for safety and non-proliferation being applied throughout the world. But in the face of panic, of sinister towers of smoke, of invisible and implacable threats, the reasonable course is not an easy one.

    http://www.economist.com/node/18395981

  • Restrisiko Null!

    carokann, 19.03.2011 12:05, Reply to #1
    #2

    Das wird auch davon abhängen, ob die Reaktoren so sicher gemacht werden können, dass eine Kernschmelze unmöglich wird bei totalem station blackout, einem anlagenweiten Stromausfall.

    Auch die neuesten Designs können das derzeit nicht.

    Im Laufe der letzten Woche sollte selbst den Freunden der Kernkraft klar geworden sein, dass das Restrisiko keine statistische Grösse mehr ist, die vernachlässigt werden kann.

    Das gibt sogar dieser Kernkraft-freundliche Artikel mit grosser MIT-Nähe zu:

    http://www.popsci.com/technology/article/2011-03/beyond-fukushima-daiichi-can-be tter-reactors-provide-safe-nuclear-powered-future

    Of course, not everyone is sold on these systems. While it’s fair to say that the latest generation of reactors would have weathered the power outage at Fukushima Daiichi better than the existing reactors have, it’s hard to predict just how secure even they might be after a devastating earthquake-tsunami one-two punch.

    Ed Lyman is a physicist at the Union of Concerned Scientists and an expert on nuclear plant design, and while he agrees that designs like the EPR far exceed the minimum safety standards set by the U.S. Nuclear Regulatory Commission, he is careful to note that there’s no accounting for the unexpected. “Some new designs might be more robust than others, but generally I think they share flaws in that if you are going into uncharted territory with a severe accident case--which is where we are now with Fukushima--that all bets are off,” Lyman says. “I’m not sure that once you reach that point there would be any clear significant advantages to the new designs.”

  • Dark Satanic Mills

    Wanli, 19.03.2011 12:41, Reply to #2
    #3

    Danke für den Artikel, werd ihn gleich noch lesen.

    Es waren auch die Bilder aus Fukushima, die die Leute zum Nachdenken brachten. Ich setz mal ein paar Bilder dagegen aus einer preisgekrönten Bilderserie über Umweltschäden in China - es  lohnt sich aber, einmal alle Fotos auf der unten angegebenen Webseite anzuschauen, dort gibt's zu jedem Bild auch einige Informationen. Diese hier zeigen die Auswirkungen von Kohleverfeuerung auf Mensch und Umgebung:

    http://www.chinahush.com/2009/10/21/amazing-pictures-pollution-in-china/

    EDIT:

    Kohle ist die wirkliche Massenvernichtungswaffe unter den Energieträgern...

  • RE: Dark Satanic Mills

    retlow, 19.03.2011 14:53, Reply to #3
    #4

    Zitat Wanli: "Kohle ist die wirkliche Massenvernichtungswaffe unter den Energieträgern..."

    http://www.zeit.de/2011/12/DOS-Atomausstieg

    Fritz Vohrholz hat schreibt ein für mich überzeugendes Plädoyer.

    Schlusszitat des Artikels auf einer Seite der Zeit von dieser Woche (S. 17): "Eine internationale Forschergruppe hat sich vor Kurzem in der Fachzeitschrift The Energy Journal mit der Frage beschäftigt, wie der Energiemix der Zukunft aussehen könnte, wenn der Klimawandel [zeit.de] gebremst werden soll. Eine von mehreren Möglichkeiten läuft auf das Ausmustern der Atomkraftwerke hinaus. Diese Variante kostete die Menschheit 0,7 Prozent ihres Sozialprodukts. Ist das der Welt nicht zuzumuten?

    Es ist fast nichts angesichts der Katastrophe in Japan, die sich jederzeit an einem anderen Ort wiederholen kann. Wer jetzt noch an den Meilern festhalten will, muss nach billigen Ausreden suchen. Die guten Gründe sind in Japan explodiert."

  • RE: Dark Satanic Mills

    Wanli, 20.03.2011 11:30, Reply to #4
    #5

    Wer jetzt noch an den Meilern festhalten will, muss nach billigen Ausreden suchen. Die guten Gründe sind in Japan explodiert.

    Das geht gleich in mehrfacher Hinsicht am Kern vorbei. Zum ersten Satz: Eine konsequente Politik würde sich für das Abschalten von Meilern starkmachen, deren Design noch auf die sechziger Jahre zurückgeht: Zu schwache Containment-Behälter oder eine Lagerung von abgebrannten Brennstäben in Wasserbecken direkt am Meiler sind Risiken, die wir nicht mehr eingehen sollten.

    http://www.taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-anti-akw/artikel/1/die-gefaehrlichen-abk lingbecken/

    Stattdessen könnte man neue Reaktoren bauen (in Deutschland kaum durchzusetzen, in anderen Ländern wohl schon), die diese Sicherheitsmängel aus einer Zeit, als die Kernkraft noch in den Kinderschuhen steckte, nicht mehr aufweisen. Kein Festhalten an Meilern, sondern ein Neubau. Caveat: die immer noch ungeklärte Entsorgung des Mülls.

    Der zweite Satz ist meiner Meinung nach richtiggehend hanebüchen. Ist der Klimawandel mit seinen potenziell riesigen Auswirkungen auf Leben und Umwelt von Milliarden Menschen durch Fukushima widerlegt? Sind andere Probleme fossiler Energieträger dadurch bedeutungslos geworden? Natürlich nicht. Da hätte ich eben mal ein paar Argumente, wie eine Energiezukunft des Planeten aussehen soll, die nicht mehr tagein, tagaus Millionen vergiftet - die Bilder weiter oben sind hier verständlicherweise ja auch nicht kommentiert worden.

    Der englische New Statesman:

    Why policymakers, anti-nuclear campaigners and the general public prefer to keep older and less safe reactors open well past their design lifetime rather than allow the construction of new plants is a mystery.

    The Japanese nuclear crisis comes at a time when many were beginning - in the light of climate change - to re-examine their opposition to civil nuclear power. Anti-nuclear campaigners may feel vindicated, but they should be careful what they wish for: if we abandon nuclear, prepare for a future of catastrophic global warming, imperilling the survival of civilisation and much of the earth's biosphere.

    http://www.newstatesman.com/asia/2011/03/nuclear-power-lynas-japan

  • BIP-Rückgang von 6% ein riesiger Schock für die Wirtschaft

    retlow, 22.03.2011 19:12, Reply to #5
    #6

    http://www.economist.com/blogs/freeexchange/2011/03/disaster_and_recovery

    ...zu den wirtschaftlichen Erwartungen für Japan.

  • Grüne Kernkraft?

    Wanli, 22.03.2011 21:50, Reply to #6
    #7

    6% Rückgang beim BIP - das wäre in der Tat ein riesiger Absturz. Sowas ist allerdings schwer zu prognostizieren - es gibt ja auch deutlich optimistischere Annahmen.


    Als jemand, dessen Meinung über die Kernkraft sich in den letzten Wochen eher zum Positiven verändert hat, ist man natürlich in einer Minderheit. Immerhin, der Einzige bin ich nicht. George Monbiot ist ein bekannter britischer Umweltaktivist und Verbraucherschützer mit einer ziemlich langen Liste von Büchern und Aktionen zum Thema.

    http://en.wikipedia.org/wiki/George_Monbiot

    Monbiot hat seine Meinung zur Kernenergie nun nach Fukushima deutlich revidiert: Er geht Alternativen zum Atomstrom durch, fossile Energieträger und alternative Energiequellen, und listet zu allen drei Alternativen die jeweiligen Kosten auf. Wobei Kosten im philosophischen / gesellschaftswissenschaftlichen Sinne nicht nur finanzieller Natur sein müssen. Das Fazit:

    Yes, I still loathe the liars who run the nuclear industry. Yes, I would prefer to see the entire sector shut down, if there were harmless alternatives. But there are no ideal solutions. Every energy technology carries a cost; so does the absence of energy technologies. Atomic energy has just been subjected to one of the harshest of possible tests, and the impact on people and the planet has been small. The crisis at Fukushima has converted me to the cause of nuclear power.

    http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2011/mar/21/pro-nuclear-japan-fukushima

    Sehr zu empfehlen; kein langer Artikel, verständlich geschrieben von jemandem, der kaum in Verdacht geraten dürfte, ne Marionette der Atomwirtschaft zu sein. Wer einen differenzierten, klugen Denkanstoß sucht, sollte ihn sich mal anschauen.

    Mehr Informationen: Online ist ein hochgelobtes Buch zum Thema Energieversorgung lesbar.

    http://www.withouthotair.com/

    Wer mehr von Monbiots Kolumnen lesen will zu Politik, Verbraucher- und Umweltschutz, wird hier fündig:

    http://www.guardian.co.uk/profile/georgemonbiot

  • Im letzten Jahr: 24 Katastrophen, die keiner kennt / Atomstrom: das unerfüllte Versprechen

    Wanli, 22.03.2011 22:25, Reply to #7
    #8

    Der Atlantic listet die 25 größten Katastrophen der letzten 12 Monate vor Fukushima auf, die sich im Energiesektor ereignet haben.

    Mit einer Ausnahme (der Explosion der Deepwater Horizon) kennt man die kaum, obwohl die meisten davon eine (bisweilen hoch) zweistellige Zahl von Opfern gefordert haben. Und solche Desaster ereignen sich halt jahrein, jahraus, ohne dass sie es in das öffentliche Bewusstsein schaffen würden - das unterscheidet sie von Störfällen in der Atombranche.

    Die Minenexplosion in West Virginia im April 2010 etwa hat mit 29 Toten weit mehr Opfer gefordert als die Havarie von Harrisburg. Und diese Art von Unfall ist deutlich häufiger als nukleare Desaster. Trotzdem medientechnisch nur von kurzem und eher lokalem Interesse. Das gilt erst recht für die anderen Minenunglücke mit teilweise deutlich mehr Opfern in verschiedenen Ländern mit der übelsten Katastrophe in Russland und einer ganzen Reihe in China.

    Eine Pipelineexplosion in Mexiko riss 27 Menschen in den Tod, von den Verletzten und Umweltschäden ganz zu schweigen - auch davon hab ich heute zum ersten Mal gelesen. Selektive Wahrnehmung im globalen Maßstab: Wenn diese Wolken über Fukushima aufgestiegen wären, wär das Bild auf allen Titelseiten.

    http://www.theatlantic.com/technology/archive/2011/03/25-other-energy-disasters- from-the-last-year/72814/


    Ein Rückblick auf das erste nukleare Zeitalter in den Vereinigten Staaten: Von den Sechzigern mit ihrem Versprechen billiger Energie im Überfluss über die Versuche der Atombranche, ihre Kosten schönzurechnen, Subventionen abzugreifen und sich der Kritik der ersten Kernkraftgegner zu erwehren, bis zu Harrisburg und kurz darauf dem Eingeständnis, dass Kernkraft einfach zu teuer zu produzieren war.

    Higher-than-expected costs, worse-than-expected operation, the meltdown at Three Mile Island, and the Chernobyl disaster all obviously hurt the industry with the public. A less well-known event might have changed history as much when on October 5, 1983, Cincinnati G&E announced that its Zimmer nuclear station would need 2.8 to 3.5 billion more dollars and two to three years of further construction time. Previously, the utility had claimed the reactor was 97 percent complete. "That news was the first of many disastrous nuclear crises that followed," wrote Leonard Hyman, an investment banker who worked with the utility industry.

    Heute werden in den Staaten seit vielen Jahren erstmals wieder Atomkraftwerke gebaut: Können sie diesmal ihr Versprechen halten?

    http://www.theatlantic.com/technology/archive/2011/03/the-nuclear-breakthrough-t hat-wasnt/72816/

  • RE: Grüne Kernkraft?

    retlow, 22.03.2011 23:05, Reply to #7
    #9

    6% Rückgang beim BIP - das wäre in der Tat ein riesiger Absturz. Sowas ist allerdings schwer zu prognostizieren - es gibt ja auch deutlich optimistischere Annahmen.


    "...Als jemand, dessen Meinung über die Kernkraft sich in den letzten Wochen eher zum Positiven verändert hat, ist man natürlich in einer Minderheit....

    Monbiot hat seine Meinung zur Kernenergie nun nach Fukushima deutlich revidiert: Er geht Alternativen zum Atomstrom durch, fossile Energieträger und alternative Energiequellen, und listet zu allen drei Alternativen die jeweiligen Kosten auf. Wobei Kosten im philosophischen / gesellschaftswissenschaftlichen Sinne nicht nur finanzieller Natur sein müssen...."

    Monbiot und andere "immer mehr Versteher" leisten sich den zweifelhaften Luxus allen Machtfragen aus dem Weg zu gehen, die sich stellen. In diesem Fall der Macht kleinster ökonomisch-politischr Eliten, die immer schon und jederzeit bereit sind, Krieg gegen die eigene Bevölkerung oder auch im internationalen Maßstab zu führen, um ihre Ziele mittel Verfügungsmacht über Technologien oder "echte" Waffen zu verwirklichen. Tut mir leid. Mr. Monbiot will nur Geld verdienen mit seinen Büchern, politisch kämpfen will sicherlich nicht. Es gibt gute Alternativen, aber das geht nicht ohne schwere Verluste für bestimmte Leute.
  • RE: Grüne Kernkraft?

    Wanli, 22.03.2011 23:34, Reply to #9
    #10
    Monbiot und andere "immer mehr Versteher" leisten sich den zweifelhaften Luxus allen Machtfragen aus dem Weg zu gehen, die sich stellen. In diesem Fall der Macht kleinster ökonomisch-politischr Eliten, die immer schon und jederzeit bereit sind, Krieg gegen die eigene Bevölkerung oder auch im internationalen Maßstab zu führen, um ihre Ziele mittel Verfügungsmacht über Technologien oder "echte" Waffen zu verwirklichen. Tut mir leid. Mr. Monbiot will nur Geld verdienen mit seinen Büchern, politisch kämpfen will sicherlich nicht. Es gibt gute Alternativen, aber das geht nicht ohne schwere Verluste für bestimmte Leute.

    Lies seine Kolumnen im Guardian - Monbiot stellt regelmäßig "Machtfragen". Und gerade die Kriege der Eliten sind ihm ein Anliegen: 2010 lobte er eine Art symbolisches "Kopfgeld" auf Blair aus wegen des Irakkrieges (siehe Wikipedia-Artikel). Der Vorwurf geht hier wirklich ins Leere. Es ist ja nun auch nicht so, dass fossile Energieträger eine herrschaftsfreie Zone wären. Den Slogan "Blut für Öl" hört man doch deutlich häufiger als "Blut für Uran". Undecided

    Und zu den Alternativen ist zu sagen: Die gibt es, doch auch sie verursachen Kosten (im weitesten Sinne). Deutschland wird eher den Weg der regenerativen Energieversorgung forcieren: eine völlig legitime Entscheidung, die der Bevölkerung aber ebenfalls gewisse Opfer abverlangen wird. Sei es, dass Bergkuppen für Pumpspeicherkraftwerke weggesprengt werden müssen, dass man neue Hochspannungsleitungen benötigt, dass das Landschaftsbild sich deutlich verändern wird oder dass Energie schlicht teurer wird. Darüber muss man sich im Klaren sein und diese Konsequenzen muss man ehrlich diskutieren - wie auch die Konsequenzen anderer Arten der Energieversorgung. Dann soll jedes Land für sich entscheiden, welcher Energiemix der passende ist - nur fossile energieträger sollte man so schnell und weitgehend wie möglich ersetzen. Ein Energieparadies wird es niemals geben.

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