...und ich dachte, an den unkalkulierbaren Kosten seien die alten DDR-Meiler schuld. Wie man sich täuschen kann:
http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/22/0,3672,8230422,00.html
Auszug:
Noch viel teurer kommt allerdings der Abriss der ostdeutschen Akw. In Greifswald soll der 1995 begonnene Abriss schon 2012 den Zustand "grüne Wiese" erreicht haben. Die Kosten sind unklar. Sie wurden zu Beginn der Arbeiten auf drei bis fünf Milliarden Euro geschätzt. Allerdings verlautete 2010, dass es auch noch teurer werden könnte. Für das mit einer Leistung von 80 Megawatt nur sehr kleine Akw Rheinsberg belaufen sich die Abbruchkosten schon auf 400 Millionen Euro. Das Reaktorgebäude selbst muss jedoch noch 30 Jahre stehen bleiben. Es ist stark mit radioaktivem Cobalt 60 kontaminiert und wird noch der nächsten Generation als strahlende Ruine bleiben.
Neuer Artikel von George Monbiot, in dem er genauer auf sieben Aspekte der Beurteilung von Energiequellen eingeht, bei denen viele Menschen an Atomkraft ganz andere Maßstäbe anlegen als an andere Energiequellen - was letztendlich zu einem ziemlich verzerrten Bild führt. Amüsant auch Monbiots Bericht über ein Gespräch mit seiner langjährigen Weggefährtin Caroline Lucas, erste grüne Abgeordnete im britischen Parlament. Die beiden ziehen ja meistens an einem Strang, aber nicht in Puncto Atomkraft - wo sich Lucas in ihrer Argumentation in ziemlich typische Widersprüche verheddert...
http://www.guardian.co.uk/environment/georgemonbiot/2011/mar/31/double-standards -nuclear
Ein anderer grüner Kernkraftbefürworter stellt fest, dass die nach Fukushima zu erwartende größere Zurückhaltung beim Bau neuer Atomkraftwerke zunächst mitnichten zu einem Ausbau der erneuerbaren Energien führe, stattdessen profitiere die Kohlebranche, dort reibe man sich jetzt schon die Hände. Die Kohleexporte nach Deutschland seien bereits deutlich gestiegen; addiere man den zu erwartenden weltweiten Anstieg der CO2-Emmissionen durch den Fallout der Fukushima-Katastrophe, werde dieser drastische Auswirkungen auf die Beschleunigung der Erderwärmung haben:
There was some early talk about how the renewables industries would benefit from a shift away from nuclear, but the real benefits will fall – as I also predicted – towards coal and other fossil fuels. Having shut down its nukes, Germany is already importing much more coal from the US and other countries, as is Japan. “The market looks pretty good for Europe for the longer term,” one coal exporter told the Wall Street Journal [wsj.com]. I’ll say. The market for coal in China looks pretty good too. [...]
It would be overstatement at this point to say that the world’s reaction to the Fukushima nuclear crisis could make the difference between controlled and uncontrolled global warming. There are too many needed assumptions to make this kind of prediction with any confidence, and electricity generation is only a part of the world’s dependence on carbon-based energy (don’t forget deforestation, transport, agriculture etc). But I think this exercise at the very least helps us face up to the reality of risk: and the risk facing the biosphere from climate change is many orders of magnitude greater than anything resulting from even a succession of worst-case-scenario nuclear accidents.
Der Kampf gegen den Klimawandel könne nur erfolgreich sein mit dem Dreischritt aus größerer Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und Kernkraft.
http://www.marklynas.org/2011/03/176/
Und die Gefahren für die Gesundheit? Hier ein Beitrag, der medizinische Erkenntnisse zu einer Vielzahl von Ereignissen zusammenstellt, bei denen Menschen einer erhöhten Strahlung ausgesetzt waren: Tschernobyl, Atombombentests, Hiroshima und Nagasaki. Untersucht wird die Häufung von Krankheiten, die durch die Strahlung ausgelöst worden sein könnten. Fazit: Unser Körper ist erstaunlich gut darin, langfristige niedrige und kurzfristige höhere Strahlendosen wegzustecken. Die gesundheitlichen Risiken manch eines anderen Energieträgers erweisen sich da als schwerer kompensierbar.
http://www.marklynas.org/2011/03/the-dangers-of-nuclear-power-in-light-of-fukush ima/
Ist es nicht auch so, dass die Evolution diejenigen bevorteilt hat, die auf " Unklarheiten und Widersprüchen" sowie "dünne Datenbasis" mit Vorsicht, gar Angst- und Fluchtreflexen reagieren?Das Problem ist, das wir uns vor der Entscheidung zu unserer zukünftigen Energieversorgung nicht werden drücken können, davor lässt sich nicht weglaufen. Und es gibt ja zig Untersuchungen, die belegen, dass wir Menschen große Schwierigkeiten haben, Risiken realistisch einzuschätzen: Beispiele auch hier im Thread (eine Gegenüberstellung der Opferzahlen von Kohle- und Atomkraft beispielsweise).
Darf man im Zusammenhang mit Risiken und Kosten fragen, wieviele Erdbeben- und Tsunami-Opfer in Japan nicht geborgen und gerettet werden konnten, weil das wegen eines ungesicherten Kernkraft-Unglücksorts nicht ging? Jetzt fangen sie an die Toten zu bergen: Rund tausend Tote werden in der Sperrzone um das havarierte AKW Fukushima noch vermutet - die hohe Strahlung verhinderte bisher eine Bergung der Leichen. Nun machen sich Polizisten und Soldaten in Schutzanzügen erneut auf die Suche. http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,755564,00.html
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,753623,00.html
Ein Essay Münklers zum Thema.
Es ist ein Merkmal der deutschen Gesellschaft, dass das zunächst auf die Außen- und Verteidigungspolitik beschränkte Konsenserfordernis in den achtziger Jahren auf Wissenschaft und Technik übertragen wurde. Friedensbewegung und Anti-Atomkraft-Bewegung waren tendenziell eins beziehungsweise verstärkten sich wechselseitig. Wissenschaft und Technik sind in Deutschland seitdem mit der Erwartung konfrontiert, ihre Kompatibilität mit dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft öffentlich nachzuweisen. Das ist sehr viel mehr als die rechtlichen Regelungen, die seit der industriellen Revolution und der Nutzung der Dampfkraft für den Betrieb technischer Großanlagen erlassen wurden.
In den Dampfkraftverordnungen des 19. Jahrhunderts wurde der Umgang mit der neuen Energie geregelt, und es wurden Sicherheitsvorkehrungen vorgeschrieben, die Unfälle verhindern und den Schaden gering halten sollten. Die Versicherbarkeit des Schadensfalles war an die Einhaltung dieser Vorschriften gebunden. In der öffentlichen Rechtfertigung für die Sicherheit der Atomenergie dagegen geht es nicht um die Versicherbarkeit von Unfällen, sondern um die Zulässigkeit wissenschaftlich-technischer Projekte selbst. Die Gesellschaft hat Wissenschaft und Technik in dieser Frage die Entscheidung über die Nutzung ihrer Ergebnisse aus der Hand genommen; sie hat die Avantgarde der Naturwissenschaft an die Kette gesellschaftlicher Sicherheitskonsense gelegt.
Die Rechtfertigung dafür war denkbar einfach: Die Folgen eines Nuklearunfalls sind nicht mehr versicherbar, beziehungsweise eine Versicherungspolice, die den wahrscheinlichen Schaden eines GAUs decken könnte, würde die Nutzung von Atomstrom unbezahlbar machen. Wenn aber die Gesellschaft als Ganzes für die materiellen Schäden von Unfällen - die hier immer Katastrophen sind - aufkommen muss, wäre es fahrlässig, wenn sie nicht auch selbst darüber entscheiden würde, ob sie diese Risiken eingehen will oder nicht. Die Auseinandersetzung darüber ist paradigmatisch in Deutschland geführt worden. In Frankreich, einem Land, das in hohem Maße auf die Nutzung von Atomenergie setzt, ist sie über Ansätze nicht hinausgekommen; in Japan, für das Ähnliches gilt, hat sie so gut wie gar nicht stattgefunden.
Risiken aus dem Weg zu gehen ist selbst eine riskante Angelegenheit
Risiken werden eingegangen um der Chancen willen, die sich mit ihnen verbinden. Risiken aus dem Weg zu gehen ist selbst eine riskante Angelegenheit. Entsprechend kontrovers ist die Debatte über die Nutzung der Kernenergie bei uns geführt worden. Ihre Befürworter argumentierten mit den Chancen, die sie biete; die Gegner stellten die Unberechenbarkeit der als "Restrisiko" klassifizierten Risiken heraus. Mit der Katastrophe von Fukushima dürfte diese Debatte in Deutschland endgültig gegen die Atomkraft entschieden sein.
Das ändert nichts daran, dass die Mitte zwischen Sicherheit und Risiko immer wieder aufs Neue gefunden werden muss. Der Fortschritt von Wissenschaft und Technik verschiebt die Balance zugunsten einer größeren Risikotoleranz: Man glaubt, die verbliebenen Minimalrisiken beherrschen zu können. Katastrophen kassieren diese Überzeugungen und lassen das Sicherheitsbedürfnis wieder in den Vordergrund treten. Es gibt Katastrophen, die sich mit der Zeit vergessen. In der Regel sind das solche, die nur die Gefahrenabwehrspezialisten getroffen haben. Katastrophen, die das gesellschaftliche Innen nach außen gestülpt haben, lassen sich dagegen nicht vergessen. Mit ihnen beginnt eine neue Zeitrechnung.
Welchem Typus die Katastrophe von Fukushima angehört, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.
siehe thread Zukunft der Kernkraft #88 mit dem gleichen Zitat.
Bei Münkler wir die funktionalistische Aussonderung von Risiko- und Gefahrenabwehr in den Gesellschaften heraugearbeitet. Münklers Hinweise sind gut, allerdings geht er über die Frage hinweg, wie die Gesellschaften mit ihren Feuerwehrleuten, Gefahrenspezialisten und Soldaten im Ernstfall umgehen, insbesondee wenn sie als "Verlierer" aus der Schlacht kommen. Münkler setzt voraus, dass diese "Spezialisten" per se mehr Anerkennung in den Gesellschaften bekommen. Das stimmt aber nicht. Diejenigen, die sich aufopfern, werden vergessen und die, die schwere Schäden haben, schlecht oder gar nicht entlohnt. Es sei denn sie gehören zur winzigen "Elite" der Generäle oder Geldgeber für die Gefahrenabwehr. Ich schrieb am. 1.4.2011: " Der Punkt ist, dass das offen und ehrlich in den Gesellschaften thematisiert wird.Den Japanern gelingt das momentan nach meinem Eindruck überhaupt nicht. Das kann sich rächen." Auch die sogenannte Weltöffentlichkeit thematisiert das Elend der jungen Katastrophenhelfer in Fukushima nicht!
Siehe auch exemplarisch gemeinten Beitrag zuvor (#113): "Rund tausend Tote werden in der Sperrzone um das havarierte AKW Fukushima noch vermutet - die hohe Strahlung verhinderte bisher eine Bergung der Leichen. Nun machen sich Polizisten und Soldaten in Schutzanzügen erneut auf die Suche"
In der LA-Times zwei gewichtige Argumente dafür, Atomkraft nicht allzu schnell als Energiequelle auszuschließen. Zunächst das altbekannte Kohle-Argument; Deutschland muss als unrühmliches Beispiel für umweltschädlichen Aktionismus herhalten:
For the green movement, which is often justifiably accused of making the perfect the enemy of the good, having to confront real-world choices about energy technologies is painful. Most environmentalists assert that a combination of renewables and efficiency can decarbonize our energy supply and save us both from global warming and the presumed dangers of nuclear power. This is technically possible but extremely unlikely in practice. In the messy real world, countries that decide to rely less on nuclear will almost certainly dig themselves even deeper into a dependence on dirty fossil fuels, especially coal.
In the short term, this is already happening. In Germany — whose government tried to curry favor with a strongly anti-nuclear population by rashly closing seven perfectly safe nuclear plants after the Fukushima crisis began — coal has already become the dominant factor in electricity prices once again. Regarding carbon dioxide emissions, you can do the math: Just add about 11 million tons per year for each nuclear plant replaced by a coal plant newly built or brought back onto the grid.
Dann der Verweis darauf, die Havarie eines Reaktor-Designs aus den sechziger Jahren könne schlecht zur Verdammung neuer Meiler von ganz anderem Sicherheitsstandard führen - zumal neuere Modelle auch das lästige Atommüll-Problem lösen könnten:
Those debating the future of nuclear power also tend to focus on out-of-date technology. No one proposes to build boiling-water reactors of 1960s-era Fukushima vintage in the 21st century. Newer designs have a much greater reliance on passive safety, as well as a host of other improvements. Fourth-generation options, such as the "integral fast reactor" reportedly being considered by Russia, could be even better. Fast-breeders like the IFR will allow us to power whole countries cleanly by burning existing stockpiles of nuclear waste, depleted uranium and military-issue plutonium. And the waste left over at the end would become safe after a mere 300 years, so no Yucca Mountains needed there. IFRs exist only on paper, however; we need to urgently research prototypes before moving on to large-scale deployment.
http://www.latimes.com/news/opinion/commentary/la-oe-lynas-nukes-20110410,0,3424 093.story
Anscheinend sterben diejenigen nicht aus denen sich das Denken bis zum Ende nicht erschließt.
Das gilt sowohl für diese Amis, wie für Dich.
Niemand bezweifelt, daß sich Technik immer weiter entwickel. Niemand bezweifelt das die Wahrscheinlichkeit eines Supergaus bei jeder Technikverbesserung kleiner wird.
Das ändert doch alles nichts daran, das egal wie klein diese Wahrscheinlichkeit ist, der Supergau trotzdem irgendwann eintritt.
Deshalb ist es nicht akzeptabel, dieses Risiko in Kauf zu nehmen, wenn die Folgen im Eintrittsfall so riesig sind, wie bei einem Supergau.
Die Gebetsmühle geht mir selber auf den Geist, aber solche Leute wie Du noch mehr;
Nun, es scheinen halt ne Menge Leute zu bezweifeln, dass fossile Energieträger umwelt- / menschenfreundlicher sind als Kernenergie - ich auch. Es scheint einer Menge Leuten nicht wohl dabei zu sein, unseren Atommüll über hunderttausende von Jahren einem Endlager anzuvertrauen, dessen Sicherheit fraglich ist - mir auch nicht. Solange das so ist, wird man natürlich weiter über Kernenergie sprechen - wenn auch vielleicht nicht in Deutschland.
Was Kohle betrifft, ist da richtig, aber moderne Gaskraftwerke haben nur noch eine sehr geringe Klimsabelastu ng. Aber natürlich sind auch die nur eine Übergangslösung und müssen so schnell wie möglich durch erneuerbare Ersetzt werden.
Und was den Atommüll betrifft, ist niemandem Wohl dabei, aber da ist ja wohl der erste Weg keinen neuen mehr zu erzeugen.
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