http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,826354,00.html
Ist Grass jetzt ein Antisemit? Das ist eine komplexe Frage, die nach noch komplexeren Antworten verlangt. Natürlich ist Grass kein rabiater Antisemit, der Juden vertreiben oder ermorden will. Antisemitismus aber ist vielschichtiger. Und Grass benutzt Bilder und Mythen, die antisemitisch angehaucht sind. Die Art und Weise, wie er Israel pauschalisiert, erinnert an die Art und Weise wie Juden pauschalisiert wurden und werden. Zu seinem Gedicht "Was gesagt werden muss" hätte auch sehr gut die Überschrift gepasst: "Israel ist unser Unglück". Im "Antisemitismusstreit" 1879 hat der Berliner Historiker Heinrich von Treitschke den Satz "Die Juden sind unser Unglück" verkündet. Dieser Satz stand später stets auf der Titelseite des "Stürmers". Grass bewegt sich auf sehr gefährlichem Terrain. Das muss eben gesagt werden, aber im Rahmen einer zivilisierten Gelehrtendiskussion. Als Grund für politische Maßnahmen darf es jedoch nicht missbraucht werden.
Auch in den USA wird das Machwerk des Herrn Grass stirnrunzelnd zur Kenntnis genommen. Die "New Republic":
The poem is, to put it bluntly, morally obtuse and politically embarrassing. Having reversed the arrows of causation, Grass says nothing about the hatred of Israel that the Iranian regime has publicly expressed since 1979, about its specific threats to “wipe it off the map” in the past decade, or the vicious Jew-hatred that is a steady diet of its propaganda. Apparently he has not read the most recent reports of the International Atomic Energy Agency that confirm Iran’s efforts to build nuclear weapons. Nor does Grass understand that the purpose of missile-carrying submarines is to ensure the credibility of a second strike should Iran or any other power attack Israel first. These submarines are essential for a stable system of deterrence. No Israeli leader has spoken about delivering a first strike with nuclear weapons that would “extinguish” the Iranian people. All of this comes from a man who was “silent” for five decades of his very successful literary career about the fact that as a young man he was a member of the Waffen SS at the end of World War II.
The idea, put forward by Grass, that there is a taboo in German intellectual and political life about criticizing Israel and its policies has been a favorite theme of Israel’s critics since the 1960s. But the taboo does not exist.
http://www.tnr.com/article/books-and-arts/102417/grass-poem-anti-semitic-gunter
Obgleich ich ihn als Nobelpreisträger respektiere, hat auf mich bislang die Mehrzahl seiner Werke, mild ausgedrückt - einen anödenden Eindruck hinterlassen. In jener Sache jedoch müsste ich ihm zu einem erheblichen Teil Recht geben - allein das Warum (die dahinterliegende Motivation) kann ich nicht zur Gänze unterschreiben.
Zu jener Sache hat carokann ja schon einen nützlichen Link geliefert:
http://flatworld.welt.de/2012/04/04/die-faktenfreie-wahnwelt-des-gunter-grass/
Aber es freut mich, Ihnen zumindest teilweise einmal zustimmen zu können: Auch ich fand einen Teil einer Werke, mild ausgedrückt, anödend. Wenn ich nur an dieses schreckliche "Weite Feld" denke, durch 150 Seiten hab ich mich gequält und das Ding dann entnervt ins Regal gestellt.
Immerhin: Blechtrommel, Treffen in Telgte, Krebsgang - ein paar gute Bücher hat der Grass ja durchaus hingekriegt.
http://www.nytimes.com/2009/08/16/magazine/16Bruce-t.html?_r=1&pagewanted=al l?src=tp
Ein bekannter Spieltheoretiker und seine Vorhersagen zu der Frage der Fragen:
Wird Iran eine Bombe bauen oder nicht?
Der Artikel sagte im Jahr 2009 voraus, dass Iran keine Bombe bauen wird.
Mal sehen.
TED-Video
04/2009
Bueno de Mesquita was enthralled by the idea of rendering the messy business of politics and history into precise, logical equations. He began his signature academic work on “the selectorate,” or the group of actors who run a country. In Bueno de Mesquita’s worldview, there is no such thing as a “national interest” (or “state”). There are just leaders trying desperately to stay in power by building coalitions within their selectorate — buying off cronies in the case of a dictatorship, for example, or producing enough good works to keep hoi polloi happy in a democracy.
Salman Rushdie hat sich auf twitter zu Grass geäussert.
OK to dislike, even be disgusted by #GünterGrass</a> poem, but to ban him is infantile pique. The answer to words must always be other words.
Let's not forget that #GünterGrass</a> is the author of the greatest literary responses to Nazism, The Tin Drum, Cat and Mouse, Dog Years.
Nobody can seriously believe #GunterGrass</a> is anti-Semitic. The issue today is a bad poem and Israel's bad response to it.
Meir Dagan in einem Interview, warum ein israelischer Erstschlag hochriskant wäre
http://www.cbsnews.com/8301-18560_162-57394904/the-spymaster-meir-dagan-on-irans -threat/
Dagan war acht Jahre Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad.
The idea, put forward by Grass, that there is a taboo in German intellectual and political life about criticizing Israel and its policies has been a favorite theme of Israel’s critics since the 1960s. But the taboo does not exist.
Der Autor scheint Deutschland kaum zu kennen, weder die deutsche Öffentlichkeit noch die deutsche Außenpolitik. Der Zentralrat der Juden ist eine der politisch und moralisch einflussreichsten Religionsvertretungen in Deutschland, deutlich vor allen muslimischen Vertretungen. Seit der Westintegration ist es (unabhängig der jeweilige Regierungskonstellation) unabänderlicher Bestandteil der (west)deutschen Außenpolitik, fest and der Seite Israels zu stehen und für dessen Existenzrecht zu kämpfen. Die Presse hat sich ebenso eine moralische Verantwortung auferlegt, nicht nur der Springerverlag, der das zu einem Hauptbestandteil seiner Unternehmenspolitik (Nr. 2 der vier Grundsätze) gemacht hat. Das kann man durchaus begrüßen und das mag kein offizielles Tabu sein, aber doch zumindest eine Schere im Kopf, und die hysterischen Reaktionen jetzt scheinen zu belegen, dass da ein zumindest unterbewusstes Tabu ist. Das Wort "Jude" wird auf Schulhöfen als Schimpfwort immer beliebter, auch in ostdeutschen Fussballstadien ist man sich der besonderen Provokation von Schmähungen wie "Juden-Jena" bewusst. Wie in den USA wäre ein deutscher Politiker mit israelkritischer Haltung nicht mehrheitsfähig. Man überlege sich nur mal, ob bei pauschalen Vergleichen wie "die Russen", "die Amerikaner", "Nordkorea", "die Hindus" oder "die Roma" solche Reaktionen und Antisemitismusvorwürfe kommen könnten wie bei "Israelis" und "Juden". Das verächtliche Grölen von "Hindus-Jena" oder "Christen-Hamburg" wären momentan jedenfalls keine offensichtliche Provokation, die der DFB bestrafen müsste. Natürlich sind differenzierte Äußerungen immer besser, aber wollen wir jedes emotional geäußerte Wort auf die Goldwaage legen? Die Reaktionen auf Grass Geschwafel zeigen ja, dass es nicht um die Inhalte oder die Iran-Israel-Problematik geht, sondern um unseren Umgang mit Antisemitismus, Israelkritik und bestehende Tabus dabei. Das Bestreiten eines solchen Tabus und die immer öfter geäußerte Meinung, das bloße Behaupten dieses Tabus wäre antisemitisch, helfen jedenfalls nicht weiter. Sie machen "Israelis" und "Juden" wieder zu einer irgendwie besonderen sozialen Gruppe, zu Token, zu Außenseitern, die alleine deswegen schon angefeindet werden, weil man nicht "normal" mit ihnen umgehen kann.
Drui, ich ziehe aus dem, was Du so schreibst, einfach ganz andere Schlussfolgerungen. Zunächst mal stimmt es einfach nicht, dass man israelische Politik in Deutschland nicht kritisieren darf, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden. Geh mal auf die Webseite der Zeit, der Süddeutschen, der Frankfurter Rundschau, der FAZ oder des Spiegels und such nach Artikeln zu "Netanjahu", "Israel Siedlungen", "Israel Mauerbau": Du findest tonnenweise kritische Artikel, ohne dass diese Publikationen dafür gebrandmarkt worden wären. Gerade die derzeitige israelische Regierung hat - nicht zu Unrecht - eine wirklich miserable Presse in Deutschland. Die einzige Schere im Kopf der betreffenden Redakteure ist der Unwillen, kompletten Kappes zu schreiben - wie etwa Grass' Andeutung, Israel wolle den Iran ausradieren.
Wenn Grass dann raunt, man dürfe das Land nicht kritisieren, wenn er bösartig unkt, er versage sich, den Namen des gemeinten Landes zu nennen, dann dockt er damit an einem altbekannten antisemitischen Denkmuster an und bedient damit ein Vorurteil, das in vielen Köpfen herumgeistert: Die Juden als Herren der Presse und fiese Manipulateure. Wenn dann noch seine Fakten so falsch sind, dann ist das schon sehr ärgerlich.
Und man kann es generell schon erstaunlich finden, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern - um den es im Gedicht ja eigentlich gar nicht geht, aber dann am Schluss irgendwie doch - solche Emotionen hervorruft und Hinz und Kunz ne Meinung dazu haben, was etwa bei den ungleich blutigeren Auseinandersetzungen zwischen Singhalesen und Tamilen in Sri Lanka nicht der Fall war - der Bürgerkrieg hat keine Sau hierzulande interessiert. Ich wage mal zu behaupten: Wenn die Singhalesen Juden wären, wäre das wohl anders gewesen. Juden werden nicht wie Du meinst durch einen Mangel an Kritik zu einer besonderen Gruppe / Außenseitern gemacht, sie sind es von vornherein.
Israel hat seit über den Daumen gepeilt vierzig Jahren Atomwaffen - völkerrechtlich gesehen völlig legal, das Land hat den Atomwaffensperrvertrag nie unterschrieben. Israel hat diese nie eingesetzt, auch dann nicht, als Saddam Raketen auf das Land abgeschossen hat. Das sind reine Abschreckungswaffen. Beim Iran ist die Lage etwas komplizierter: Einerseits rechtlich (das Land hat den Atomwaffenspervertrag unterzeichnet), andererseits eben dadurch, dass der Iran seit langem terroristische Organisationen unterstützt, innenpolitisch recht fragil ist und wohl nicht von einer wirklich zuverlässigen Kontrolle etwaiger Atomwaffen durch eine stabile Regierung ausgegangen werden kann, seit Jahren Hassreden gegen Israel geführt werden und der Iran ganz anders in die lokale Machtpolitik verstrickt ist als Israel, das im Großen und Ganzen ja vor allem in Ruhe gelassen werden will. Deshalb gibt es ja auch Presseberichte über ziemlich panische Reaktionen arabischer Staaten auf die iranische Atomforschung, während Israels Bombe die gleichen Regierungen völlig kalt lässt.
Diese ganzen Differenzierungen nimmt ein Herr Grass überhaupt nicht vor, bei dem sind die Israelis einfach die Bedrohung des Weltfriedens. Und das ist schon schändlich.
Einen Blick wert: Die Artikel in der Jungle World.
Götz Aly
Die nunmehr bekannten Agitpropverse von Günter Grass gehen in dieselbe Richtung. Sie behandeln Israel als Aggressor, der den Weltfrieden akut gefährde und das „iranische Volk auslöschen könnte“. In Interviews beruft sich Grass auf vielfältigen Beifall, der keinesfalls von rechts komme (siehe oben). Er und seine Gesinnungsfreunde zählen zu jenen Westlern, die den glücklich verlaufenden Geschichtsbruch Wiedervereinigung nicht verwinden. Sie betrachten das damit verbundene Erfordernis, dass die Deutschen politisch erwachsen werden müssen, als Angriff auf ihre weltanschauliche Gemütsruhe.
...
Sein neuerlicher Schreibtischangriff auf Israel ist für die Mitte der deutschen Gesellschaft nicht repräsentativ. Bei den Lesereisen mit meinem Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“ mache ich erfreuliche Erfahrungen mit der bürgerlichen Mitte, sei es in Chemnitz, Berlin, Leipzig, Bochum, München, Nürnberg oder Stadthagen. Mich laden keine staatlich alimentierten Nazi-Gedenkstätten und Fachinstitute ein, auch keine linken Buchhandlungen, wohl aber literarische Gesellschaften, Bürgervereine, die sich einer ehemaligen Synagoge oder der Geschichte und Kultur ihrer Stadt widmen. Die Säle sind voll, die Leute hoch interessiert. Sie wollen die deutsche und jüdische Geschichte verstehen und die darin eingebundenen Wege und Irrwege ihrer eigenen Familien. Die Diskussionen sind frei von Misstönen. Sofern dieses bürgerliche Selbstbewusstsein in Deutschland weiter gedeiht, kann Grass getrost Grass bleiben.
Ich meine nicht, dass die deutsche Presse nicht detaillierte und konstruktive Kritik äußert oder dass sie sogar irgendwie "jüdisch" oder "israelisch" gesteuert werden würde, das wäre natürlich Unsinn. Aber pauschale und vereinfachte Kritik an Israel ist einfach nicht so möglich, wie es bei anderen Ländern anscheinend ist. Inhaltlich ist es Unsinn und eine bewusste Provokation, wenn Grass von der Auslöschung des iranischen Volkes spricht und ich glaube auch nicht an einen atomaren Erstschlag Israels, aber man könnte Atomwaffen einsetzen, wenn es konventionell sehr sehr schlecht läuft. Tatsache ist, dass der Iran bislang nie einen Angriffskrieg geführt hat, anders als Israel und der Irak, den Krieg würde jetzt Israel beginnen und sich dabei wie immer einen Scheiß um das Völkerrecht kümmern. Ich möchte auch nicht, dass der Iran Atomwaffen hat, das Streben danach ist aber immer noch nicht erwiesen und grundsätzlich kein Kriegsgrund und nutzt innenpolitisch sowohl der rechten israelischen Regierung als auch dem noch verblödeteren iranischen Regime, auf Kosten beider Bevölkerungen. Wenn sich ein demokratischer Staat seit Jahrzehnten so extrem aggressiv verhält, mehrmals Angriffskriege führt, andere Länder bombardiert, systematisch extraterritoriale Tötungen begeht, Schiffe auf internationalen Gewässern kapert, fremde Territorien besetzt und die Menschen dort enteignet und entmündigt, dann kann man diesen Staat sicher als Aggressor und Friedensbrecher bezeichnen. Da hilft leider weder die demokratische Ordnung noch die Tatsache, dass die Menschen dieses Staates oft auch Opfer durch Terroristen und andere Aggressoren und Nachkommen von Überlebenden unserer Nazivorfahren sind.
Juden werden nicht wie Du meinst durch einen Mangel an Kritik zu einer besonderen Gruppe / Außenseitern gemacht, sie sind es von vornherein.
Ich denke, es stimmt beides. Natürlich sind sie es von vornherein, aber durch unseren verklemmten Umgang wird es noch schlimmer.
Beim Iran ist die Lage etwas komplizierter: Einerseits rechtlich (das Land hat den Atomwaffenspervertrag unterzeichnet), andererseits eben dadurch, dass der Iran seit langem terroristische Organisationen unterstützt, innenpolitisch recht fragil ist und wohl nicht von einer wirklich zuverlässigen Kontrolle etwaiger Atomwaffen durch eine stabile Regierung ausgegangen werden kann, seit Jahren Hassreden gegen Israel geführt werden und der Iran ganz anders in die lokale Machtpolitik verstrickt ist als Israel, das im Großen und Ganzen ja vor allem in Ruhe gelassen werden will.
Es wird immer wieder geschrieben, Ahmanideschad hätte von der Auslöschung Israels gesprochen. Da gibt es Streit um die richtige Übersetzung, ich habe es so verstanden, dass er so etwas wie "die Besetzer Jerusalems müssen von der Bildfläche verschwinden" gesagt hat, was man als Beseitigung der israelischen Staatsordnung, weniger als Auslöschung des israelischen Volkes interpretieren kann. Er hat das nicht im Kontext von Atomprogrammen gesagt, sondern im Kontext der iranischen Revolution und der Beseitigung des Schahs. Jedenfalls ist das alles eher innenpolitische Symbolik. Iran fördert den internationalen Terrorimus und die Hisbollah, aber es beginnt keine Kriege. Vor iranischen Atomwaffen, die es nach Ansicht der CIA seit spätestens 2009 nicht mehr anstrebt, dürfte zudem Saudi-Arabien mehr Angst haben als Israel, die iranische Regierung spielt aber gerne mit der uneingestandenen Drohung, innen- wie außenpolitisch. Israel ist nur ein nützliches Feindbild, das man militärisch nicht wirklich herausfordern möchte. Wenn die israelische Trottelregierung jetzt gegen den Willen ihres Geheimdienstes einen langen Krieg gegen den Iran wegen unsichtbaren Massenvernichtungswaffen wie einst im Irak beginnt, werden dem Iran und den dortigen Fundis die Herzen der ganzen arabischen Welt zufliegen. Der arabische Frühling wird sich auch gegen Israel richten und die ganze Region wird so mit Waffen überschwemmt, dass man Stabilität für lange Zeit vergessen kann, außer natürlich für die Regierungen in Israel und im Iran.
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