Boris Rücktritt ist, so denke ich, in den nächsten Stunden oder Tagen fällig.
Wie geht es in GB weiter.
Haben die Tories noch jemanden auf den sie sich einigen können, oder geht's in Neuwahlen?
Eigentlich können sie sich Neuwahlen z.Z. nicht leisten. Aber ich sehe auch keine Nachfolgerin oder Nachfolger am Horizont.
Gibt es Prognosen oder Einschätzungen?
Edit: Er ist als Parteichef zurückgetreten. Aber die Tories sind wohl nicht damit einverstanden, daß er Premier bleibt, bis sein Nachfolger gekürt ist.
Die Tories scheinen Neuwahlen gegenüber eher abgeneigt, was Wunder - so eine satte Mehrheit bekommen sie so schnell nicht wieder. Gibt ja ein paar außerordentlich ambitionierte Leute hinter Johnson, die jetzt schnell aus den Startlöchern kommen werden, das wird sicher ein recht interessantes Hauen und Stechen, aber am Ende - tippe ich - gibt es (vielleicht nach einer Übergangslösung) einen neuen, dauerhafteren konservativen Premier.
Ob der oder die sich dann länger im Amt hält als May oder eben Johnson, bleibt abzuwarten; die Tories scheinen ja Geschmack an Palastrevolten gefunden zu haben.
Boris Johnson: Alle News zur Regierungskrise in Großbritannien am Donnerstag - DER SPIEGEL
Verliert sie doch mit Johnson ihren standhaftesten und wichtigsten Verbündeten.
Bei den Tories selber ist er insbesondere aufgrund seiner sozialistisch angehauchten Wirtschafts- und Finanzpolitik schon länger in Ungnade gefallen und massiv kritisiert worden (als Telegraph-Subscriber verfolge ich das Drama schon seit geraumer Zeit).
List of prime ministers of the United Kingdom by length of tenure - Wikipedia
Es mag Boris wurmen, dass die von ihm verachtete Theresa May sich länger im Amt gehalten haben wird als er, aber immerhin wird er Gordon Brown hinter sich lassen.
Trotz seiner vergleichweise kurzen Amtszeit wird Bojos Hinterlassenschaft gar nicht so mickrig sein:
- Er war - wenn auch wohl aus Opportunismus und nicht Überzeugung - eine treibende Kraft hinter der Brexit-Kampagne und dem schlussendlichen Austritt des UKs aus der EU,
- er hat die Wirtschaftspolitik der Tories neu ausgerichtet, hin zu höheren Steuern und Staatsausgaben, auch wenn die Corona-Pandemie da gern zur Rechtfertigung benutzt wurde,
- er hat eine gehörige Portion Trumpismus in die britische Politik eingebracht: schamlose Lügen, ordentlich Vetternwirtschaft, großartige Ankündigungen bei gleichzeitig wenig ausgeprägter Lust, sich mit den Details der praktischen Umsetzung zu beschäftigen, schlussendlich auch die Beschneidung von Bürgerrechten nach dem Vorbild der amerikanischen Republikaner (wenngleich weniger dreist).
As a result of his premiership, the very concept of basic human rights in this country is under threat. He has backed the removal of protest and voting rights, the expansion of draconian policing tactics, and the dismantling of the meagre bulwarks that seek to hold public figures and institutions accountable. His leadership has further encouraged open season for political corruption and cronyism.
Wie geht es weiter? Interessierte Tories werden in den nächsten Tagen ihren Hut in den Ring werfen müssen, dann wird die konservative Fraktion im House of Commons die Zahl der BewerberInnen in einer Reihe von Abstimmungen auf zwei reduzieren, zwischen denen die Parteibasis dann wählen darf.
How will a new Tory leader be chosen? | Boris Johnson | The Guardian
Bei den Buchmachern heute Morgen beliebt:
Die parteinterne Abstimmung wird natürlich insofern ganz interessant, als die Tories unter Johnson ja tatsächlich (auch hier der GOP unter Trump folgend) mit ihrer langjährige Fixierung auf niedrige Steuern und einen schlanken Staat brachen.
Bei den Tories selber ist er insbesondere aufgrund seiner sozialistisch angehauchten Wirtschafts- und Finanzpolitik schon länger in Ungnade gefallen und massiv kritisiert worden (als Telegraph-Subscriber verfolge ich das Drama schon seit geraumer Zeit).
Bleibt es dabei oder schwingt das Pendel zurück mit der Wahl eines überzeugten Thatcheristen wie Sajid Javid? Oder versucht man einen Kompromiss zwischen diesen beiden Polen?
Das wird natürlich auch Auswirkungen auf zukünftige Wahlen haben, denn ein weiteres Vermächtnis Johnsons war ja die Pulverisierung der einstigen Labour-Hochburgen entlang der "Roten Mauer" quer durch Nordengland.
Labour loses traditional northern heartlands to Tories | Daily Mail Online
Johnsons Strategie war immer, die Arbeiterschicht in diesen strukturschwachen Gebieten mit dem Paket aus Brexit, großzügigeren Ausgaben und volksnah-hemdsärmeligem Habitus ins eigene Lager zu locken; mal sehen, ob die daraus resultierende politische Neuorientierung auch ohne ihre schlecht frisierte Galionsfigur Bestand hat.
EDIT
Dominic Cummings, einst Busenfreund und engster Berater und inzwischen Erzfeind Johnsons, glaubt, der wolle immer noch auf Zeit spielen:
Ehrlich gesagt kaum vorstellbar, dass die konservative Fraktion Johnson noch länger im Amt lässt.
EDIT 2
Eine erste Umfrage unter Parteimitgliedern zur nächsten Nummer eins der Tories zeichnet ein etwas anderes Bild als die Quoten der Buchmacher; den Demoskopen zufolge liegt Verteidigungsminister Wallace vorn in der Gunst des Fußvolks:
Ben Wallace clear favourite for next Conservative leader among party members | Y ouGov
Der Guardian stellt die aussichtsreichsten KandidatInnen vor:
Who will replace Boris Johnson? The runners and riders | Conservative leadership | The Guardian
Welcome back, Wanli!
Hi sorros, wirklich zurück bin ich nicht; habe mittlerweile meinen Konsum politischer Nachrichten aus den Staaten oder dem UK stark eingeschränkt und fühle mich ganz wohl damit. Aber wenn sich die Ereignisse dramatisch überschlagen und ich zudem gerade weniger um die Ohren habe, dann melden sich die alten Instinkte halt wieder...
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Die meisten Titelseiten der britischen Zeitungen sind neutral gehalten, manche wie der Daily Star schicken dem als Parteichef zurückgetretenen Johnson bereits auf der Titelseite noch einen hämischen Kommentar hinterher.
Doch es gibt (aus dem konservativen Lager) auch andere Stimmen; die Titelseite der Daily Mail etwa sieht folgendermaßen aus:
Friday's national newspaper front pages | UK News | Sky News
Im vergleichsweise anspruchsvollen Spectator findet sich dieser Kommentar:
Those who voted Tory in 2019 never had a chance to stay the assassins’ hands. That should worry everyone. The people raised this man up as their leader but his party hacked him down and threw him in a shallow pit. The bond of trust between the voters and the system that should serve them has been gravely damaged by this insane putsch.
Boris is right, this is a putsch | The Spectator
Diese Gespaltenheit der Anhänger der Konservativen wird auch bei der Wahl einer neuen Parteiführung eine Rolle spielen; als Margaret Thatcher abgesägt wurde, hat man danach auch nicht Geoffrey Howe oder Michael Heseltine gekrönt, sondern den in dem ganzen Drama eher eine Nebenrolle spielenden John Major. Mal sehen, wie Johnsons profilierteste parteiinterne KritikerInnen bei MPs und Basis tatsächlich punkten können.
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Der Independent bringt eine Reportage aus Nottinghamshire, aus einem der Wahlkreise, die Johnson bei der letzten Wahl für die Tories gewonnen hatte:
“I actually think he did a fantastic job for the first year or so,” said Mick Lakin, one of those lifelong Labour voters who turned Tory in 2019. “He got Brexit done – or largely done – and he dealt with the pandemic well enough. And I think he’s trying to sort immigration out, which is needed.”
But?
“He’s a liar,” the retired digger driver said. “We gave him our vote – not just here, the country – and his thanks has been to constantly play us for fools. Well, you get found out doing that.” [...]
Who might they vote for in future? They’d gone independent in recent local elections, they said, and they would be tempted to do that in a general election.
Wird wirklich interessant, ob die Neuausrichtung der britischen Politik Bestand hat oder nicht. Den Markt zur nächsten General Election würde ich wohl auch nochmal mitspielen.
EDIT
Wenn das Rennen um den Parteivorsitz von Interesse ist, dann lohnt ein Blick auf die Webseite des konservativen Blogs Guido Fawkes, wo auf einem Spreadsheet über KandidatInnen und ihre parteinternen Fans Buch geführt wird.
Who's Backing Who: Friday Morning State of Play – Guido Fawkes (order-order.co m)
BIslang schon aus den Startlöchern gekommen sind Tom Tugendhat, Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses im Parlament, 2016 Brexit-Gegner und immer eher auf Distanz zu Johnson, sowie Suella "War on Wokeness" Braverman, Generalstaatsanwältin und stramme Rechtsauslegerin. Außenministerin Liz Truss ist frühzeitig vom G20-Gipfel abgereist und dürfte großes Interesse an einer Kandidatur sowie deutlich bessere Chancen als die beiden eben Genannten haben; andere Schwergewichte haben sich noch nicht festgelegt.
Der Guardian hat auch einen längeren Artikel zum Thema und glaubt, Labour habe längst die formidabelste Gegnerin im Kreis der potenziellen BewerberInnen identifiziert:
Labour’s darkest fear is Penny Mordaunt, the amiable and forthright Brexiter who reportedly performs well in focus groups. They believe Sunak would struggle to stitch together the electoral coalition Johnson pulled off in 2019, between leave-voting ex-Labour seats and Tory heartlands.
Hi Saladin, schön, mal wieder hier vorbeizuschauen und dann so nett begrüßt zu werden!
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Mit dem erst kürzlich vom Amt des Schatzkanzlers zurückgetretenen Rishi Sunak erklärt das erste echte Schwergewicht seine Kandidatur für den Parteivorsitz; die Professionalisierung der PR von Spitzenpolitikern auch jenseits der USA erkennt man am Bewerbungsvideo, das stark an Werbefilmchen aus amerikanischen (Vor)Wahlkämpfen erinnert.
https://mobile.twitter.com/RishiSunak/status/1545426650032111616
Vielleicht ganz interessant, dass Sunak sich als vernünftigen Common-Sense-Kandidaten zeichnen lässt, das Video würde gut in einen regulären Wahlkampf passen, während bei parteiinternen Vorwahlen ja gern etwas mehr Ideologie präsentiert wird; das vermeidet der Kandidat hier aber weitgehend.
wie wird die ernennung des neuen parteichefs voraussichtlich ablaufen?
taugt dies für einen markt?
wie wird die ernennung des neuen parteichefs voraussichtlich ablaufen?
taugt dies für einen markt?
Ich würde dann gleich einen Markt zum neuen PM spielen. Der Ablauf ist hier treffend beschrieben:
Firstly, Conservative Members of Parliament will announce their candidacies. Then, 300-400 Conservative MP's will vote on the candidates until they have whittled them down to just two.
Finally, the membership of the Conservative Party will vote on the two candidates and thus choose their next leader (who will automatically become PM).
The Conservative Party has 200,000 members. The UK has a population of over 60 million. Yes, that's right, the next British PM will be chosen by 0.3% of the population!
Electoral-Vote-Leser hatten einen leicht anderen Haufen an Bewerbern für den neuen PM-Posten (der/ die wohl auch Parteichef/in sein wird):
- Rishi Sunak: Former Chancellor, showed solidarity with Boris by also receiving a criminal fine for breaking their own lockdown rules. However, pulled the trigger on Boris with resignation, so may be regarded as a turncoat.
- Priti Patel: Home Secretary, daughter of immigrants, now wants to put asylum seekers on a one way flight to Rwanda. You thought your southern border was bad?
- Lis Truss: Foreign Secretary, darling of the Tory membership. The apparent running joke in Westminster is that she is so dense light bends around her.
- Nadhim Zahawi: Current Chancellor, accepted the job "out of duty" and promptly told his boss to leave within 48 hours. How very Game of Thrones.
- Suella Braverman: Not widely known, but made headlines by declaring her candidacy before Boris had even resigned.
- Ben Wallace: Defence Secretary, whose chief claim to fame is having the largest bar bill on record during his time as an officer in the military.
- Matt Hancock: Former Health Secretary. Resigned, not over his catastrophic mishandling of COVID, but caught on camera breaking social distancing rules kissing an aide while married.
- Nadine Dorries: Rabid Johnson supporter, and our answer to Rep. Marjorie Taylor Greene (R-GA).
Priti Patel wird nicht überall gehandelt. Sie wäre mmn die schlechteste unter sehr schlechten Kandidaten.
Welcome back posting, Wanli! Vielleicht ja später noch was zu den US-Midterms-Senatswahlen. Während es für das House übel aussieht für die Dems, gibt es erstaunliche Umfragen bei den Senatsduellen in Pennsylvania, Geogia und Iowa.
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